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ANTIKE TEXTE |
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Für den Vokalpart der Klanginstallation wurden Textüberlieferungen zur Baukunst und zum städtischen Leben in der Antike ausgewählt. Die Texte stellen einen inhaltlichen Kanon her, der in seinem konvergierenden Erzählstrom und seiner kompositorischen Fragmentierung das Widerlager zu den städtischen Klangkategorien aus Lüttich und Rotterdam bildet. Die nur scheinbare Homogenität der antiken Texte und deren architektonische Rezeption stellen eine Ideenschichtung dar, deren ästhetische und bauliche Wiederaneignung sich bis in unsere aktuellen urbanen Lebenswelten fortsetzt.
Im Zentrum der Textkompilation stehen Vitruvs „Zehn Bücher über Architektur“, De architectura libri decem, die einzige homogene antike Überlieferung zur Architektur und Stadtgründung.
Vitruv, wahrscheinlich L.Vitruvius Marmurana, war Architekt und Ingenieur und lebte im 1. Jahrhundert v.Chr. in Italien. Die “Zehn Bücher über Architektur" sind über eine Zeitspanne von mehr als zehn Jahren entstanden und um das Jahr 20 v.Chr. veröffentlicht worden. Über Vitruv selbst ist wenig bekannt; er konstruierte in der Zeit der Bürgerkriege als Ingenieur Kriegsmaschinen und errichtete die Basilika von Fanum. Im Alter verlegte er sich auf das Schreiben, was ihm durch eine Pension des Kaisers Augustus ermöglicht wurde. Sein vorgelegtes Kompendium über Architektur war in der Antike bekannt, erhielt aber erst später durch seine Einzigartigkeit als historische Quelle eine außergewöhnliche Bedeutung.
Das Werk zeigt Vitruvs genaue Kenntnis des griechischen Bauwesens, durch die Verwendung einer Vielzahl von griechischen Textquellen, wie aus einem seinem Werk beigefügten Katalog hervorgeht. So beschreibt Vitruv die Anordnung der Städte nach den Winden, wie sie die Griechen praktizierten, und nicht nach dem römischen Prinzip, der Ausrichtung nach der Sonne. Für einige Sachverhalte bilden Vitruvs Aufzeichnungen eine singuläre Quelle, während andere Passagen im Widerspruch zu zeitgenössischen baulichen Überlieferungen stehen.
Ausgehend von der Abschrift eines wohl einzigen antiken Exemplars im 9. Jahrhundert, dem später verloren gegangenen so genannten “Archetypus A“, wurde der Inhalt durch wiederholte Transkriptionen überliefert und unter anderem von dem Renaissance Humanisten Gianfrancesco Poggio Bracciolini (1380-1459) wiederentdeckt.
Die Passagen zur Ableitung der Baumaße aus den menschlichen Proportionen, vorwiegend im dritten Buch “Von den Symmetrien der Tempel", hatten weitreichenden Einfluss auf die Entwicklung der Baukunst und Ästhetik der Renaissance. Die bedeutende Zeichnung Leonardo da Vincis vom Menschen in geometrischen Proportionskreisen von 1485/90 trägt im Untertitel die Bezeichnung “Proportionsschema der menschlichen Gestalt nach Vitruv". Dies bezieht sich auf Vitruvs Aufsatz homo bene figuratus – “Theorie des wohlgeformten Menschen“, dessen Proportionsvorstellungen er übernimmt und illustriert. In den Maßen des Menschen finden sich der Kreis und das Quadrat wieder, aus denen die ästhetischen Hauptableitungen antiker Gestaltungen gewonnen wurden. Der natürliche menschliche Körper als Maß der Wohlgeformtheit wird in der Renaissance zum Leitmotiv einer neuen Ordnung, die den Menschen in den Schöpfungsmittelpunkt stellt.
Eine ähnliche Zeichnung von Albrecht Dürer, "Maßverhältnisse des Menschen" von 1493, leitet den “Goldenen Schnitt“ aus den Proportionen des Menschen ab. Die ästhetischen Proportionen von Schönheit und Harmonie des Goldenen Schnitts – mittels der Mathematik allseitig transferier- und kalibrierbar – werden in der Renaissance als universell erachtet und finden in ihren Ableitungen Eingang in alle Bereiche der Gestaltung und revolutionieren das Weltbild dieser Zeit.
Leon Battista Alberti (1404-1472) überführte Vitruvs Ideen 1452 in sein zehnbändiges Lehrbuch über das Bauen, De re aedificatoria, und damit in die Baupraxis der Renaissance. Er beschreibt dort die Baukunst als eine geistige Disziplin, die die gesellschaftliche und politische Ordnung eines Gemeinwesens ausdrückt.
Die Wiederentdeckung der antiken Ästhetik durch die Bücher Vitruvs war für die Renaissance von großer Bedeutung, da viele Monumente der Antike zu dieser Zeit noch nicht ausgegraben waren. Eine zentrale Wegmarke dieser Wiederaneignung antiker Ideen stellt das Werk des Architekten Andrea Palladio (1508-1580) dar, dessen Villen an antiken Landhäusern orientiert sind.
Weitere wichtige Transfers sind in den Werken von Karl-Friedrich Schinkel (1781-1841) und Gottfried Semper d.J. (1803-1879) sichtbar, während mit dem Franzosen Viollet-le-Duc (1819-1900) ein Opponent im Bereich der Baukunst auftritt, der die Architektursprache der Renaissance als eine “erinnerte Überlieferung aus zweiter Hand" bezeichnet. Seine Orientierung an Maschinenformen und sein direkter Bezug zur Gotik unterbrechen die historische Zitatkette und schaffen die Möglichkeit eines aktualisierten ästhetischen Neuansatzes im Zeitalter der Industrialisierung.
Aber bis in die Neuzeit gehen von den Überlieferungen Vitruvs bedeutende Impulse aus. Le Corbusier entwickelte von 1942 bis 1955 ein modernes Gestaltungsprinzip, das er von einem Standardmaß des Menschen von 175 cm bzw. 183 cm ableitete. Diese Thesen fasste er in seinen Büchern Modulor 1 und Modulor 2 (1948 und 1955) zusammen. Mit seiner Idee einer auf mathematischen Strukturen basierten Grundeinheit von Architektur wollte Le Corbusier das menschliche Maß für die moderne Architektur bewahren und eine mathematisch reproduzierbare Grundform schaffen. Das System des Modulor ist vom Goldenen Schnitt abgeleitet, und verbindet das metrische mit dem angelsächsischen Maßsystem, was in der Folge zu einer Internationalisierung des Gestaltungsprinzips beitrug.
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