Die Soundinstallation GROMA führt Klangkategorien und vokal vorgetragene Texte anhand thematischer Verknüpfungen zusammen. In diesem künstlerischen Feld werden die Inhaltsebenen in einer Modellanordnung miteinander konfrontiert. Dabei kann in einem Modell weder ein existierender Stadtraum komplett simuliert werden, noch kann eine tatsächliche Abbildung eines historischen Textkanons hergestellt werden.
Auf der Ebene der Modellanordnung werden Inhalte durch verschiedene Kulturtechniken kombiniert. Die Kulturtechniken sind künstlerische und gestalterische Strategien wie Zerschneiden, Verknüpfen, Schichten und Mischen sowie Reduktion, Expansion und zeiträumliche Definitionen. Diese alten Kulturtechniken sind im Wesentlichen nicht mehr erweiterbar, daher sind ihre Anwendungen jeweils durch Weltanschauung und technologische Entwicklung bestimmt.
Ein Modell definiert sich durch seine Lesbarkeit, verweist aber auch bei hoher Komplexität immer auf die Grenze, die es von seinem Bezugsfeld trennt. Künstlerische Aufgabenstellungen, die ihren Bezugsrahmen jenseits eines individuellen künstlerischen Feldes setzen, verlangen nach künstlerischen Strategien, um diese externen Bereiche mit einzubeziehen. Die Klanginstallation GROMA beinhaltet beide Bereiche: die Herstellung eines urbanen Modellraumes, in dem die verschiedenen Ebenen Klang und Text korrespondieren können, sowie die Erweiterung dieser Anordnung durch die Einführung von Zufallsoperationen, die eine eigenständige Dynamik entwickeln.
Urbane Inhalte antiker Texte haben sich in unterschiedlicher Weise in den westlichen städtischen Raum eingeschrieben und bestimmen nachhaltig unsere aktuellen Lebens- und Organisationsstrategien. Dies ist die künstlerische Ausgangsposition der Klanginstallation GROMA.
Das Textmaterial erfährt in der Installation eine Umkehrung seiner Funktionalität. Die Inhalte der antiken Texte sind nicht mehr nur beschreibende Überlieferung, sondern wählen anhand ihrer thematischen Kategorien die Klangstücke aus den korrespondierenden urbanen Bereichen der Partnerstädte Lüttich und Rotterdam aus. Dies bedeutet, dass die antiken Texte die Auswahl der städtischen Klänge bestimmen.
Die Texte und das Klangmaterial werden durch die folgenden kompositorischen Zuordnungen adressiert:
Kultureller Raum, Naturraum, Öffentlicher Raum, Politischer Raum, Privater Raum, Städtische Infrastruktur, Wirtschaftsraum, ALL
Diese urbanen Kategorien werden um den Begriff der kulturellen Idee ergänzt, um philosophische oder weltanschauliche Vorstellungen in Texten mit einzubinden zu können; dieser Ideenbereich ist dem kulturellen Raum zugeordnet. Texte, die alle Bereiche themenübergreifend umfassen, sind in der Kategorie ALL zugeordnet.
Die historischen Texte können mit jeweils maximal drei dieser Adressierungskategorien beschrieben werden. Die zugeordneten thematischen Felder werden gemäß dem Textinhalt unterschiedlich gewichtet: Hauptinhalte werden mit 60%, Nebenaspekte werden mit 30% und 10 % bestimmt. Dies sind die Wahrscheinlichkeitsverhältnisse, aufgrund derer die Kombinationen aus Vokal- und Klangbereich gebildet und zu einer Feldkomposition verbunden werden.
Da es im realen urbanen Raum durch Überlagerungen meist keine eindeutigen Bezüge gibt, und diese durch eigene oder externe Impulse ständig neuen Feldern zuzuordnen sind, gelangt hier die Adressierung an ihre Modellgrenze. Diese urbane Dynamik ist in der Komposition auf die aleatorischen Funktionen übertragen: Der kompositorische Einsatz des Zufalls erzeugt die Option, die Modellgrenzen zu überschreiten.
Die Ablösung von statischen Zustandsbeschreibungen gibt die Möglichkeit, im Modellraum dynamische Skalierungsübergänge zu simulieren, die sonst nur metaphorisch darstellbar sind. Aleatorische Funktionen erweitern die Möglichkeiten der Darstellbarkeit des Bestimmten und Unbestimmbaren und eröffnen Felder, die sich aufgrund ihrer nichtintentionalen Inhalte einer Komposition entziehen. Ordnungsstrukturen sind mit Feldern kombinierbar, deren räumliche oder zeitliche Umrisse unbestimmt bleiben. Die Anwendung solcher Funktionen in der Installation GROMA ist letztlich ein Reflex auf die Unkalkulierbarkeit der vitalen Nutzung urbaner Strukturen durch den Menschen und auf die Frage nach Ordnungs- und Freiheitsgraden von Gemeinwesen.
Das zeitweilige partielle Zerfallen der antiken Texte in Schlagwörter, die sich durch fortschreitende Auflösung ihres räumlichen und zeitlichen Zusammenhanges bis über die Grenze der inhaltlichen Verständlichkeit aus dem Klangraum zurückziehen, bricht die beherrschende Macht des Wortes und führt es zurück in einen archäologischen Status der Fragmentierung.
Michael Scholz |